Perspektiven auf antimuslimischen Rassismus

Die digitale Ausstellung ist ein Projekt der ufuq.de-Fachstelle für Pädagogik zwischen Islam, antimuslimischem Rassismus und Islamismus in Berlin. Wir freuen uns über Ihr Feedback an: fachstelle-in-berlin@ufuq.de

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Die Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung des BMFSFJ oder des BAFzA dar. Für inhaltliche Aussagen tragen die Autorinnen und Autoren die Verantwortung.

Kreiert von Rabe Creative Services mit Illustrationen von Saliha Soylu logon von Saliha Soylu.

Initiativen

Viele zivilgesellschaftliche Organisationen engagieren für eine gerechtere Gesellschaft und bilden Allianzen gegen antimuslimisch-rassistische Strukturen. Lassen Sie sich inspirieren und schauen, welche Initiativen vielleicht auch bei Ihnen vor Ort aktiv sind.

Initiativen

Intersektional betrachtet

Der Begriff Intersektionalität klingt erstmal kompliziert. Die US-amerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw 1989 entwickelte das Konzept, um zu erklären, wie verschiedene Diskriminierungsformen zusammenwirken. Der Begriff ist vom englischen Wort „intersection“ (Kreuzung) abgeleitet und beschreibt, wie verschiedene Formen von Diskriminierung wie z. B. Sexismus, Rassismus oder Antisemitismus zusammenwirken. Das Konzept macht deutlich, dass diese „sich gegenseitig beeinflussen und so auch neue Formen der Diskriminierung entstehen können.“ (Vielfalt Mediathek 2023). Auch antimuslimischer Rassismus muss intersektional betrachtet werden – Was bedeutet also antimuslimischer Rassismus für queere Personen? Und wie erleben muslimische Sinti*zze und Rom*nja Diskriminierung?

Klassismus und antimuslimischer Rassismus

queer und muslimisch

Muslimin und Feministin

Muslimische Sinti*zze und Rom*nja

„Nenn mich nicht Macho“

Zeitstrahl - Geschichte und Kontinuitäten

Die Narrative, die dem antimuslimischen Rassismus zugrunde liegen, sind nicht neu. Und sie existieren auch nicht erst seit den Terroranschlägen von 9/11, sondern lassen sich bis in die Zeit der Kreuzzüge zurückverfolgen. Der Zeitstrahl gibt einen – nicht vollständigen – Überblick über prägende Ereignisse von antimuslimischem Rassismus in Europa mit (besonderem) Fokus auf Deutschland. Die Ereignisse zeigen, wie komplex antimuslimischer Rassismus ist und wie gewalttätig er für die Betroffenen sein kann.

Zeitstrahl - Geschichte und Kontinuitäten

  • Kreuzzüge
    Im Hochmittelalter rief Papst Urban II. die französischen, deutschen und italienischen Adligen zur bewaffneten Pilgerfahrt nach Jerusalem auf. Ziel war es, die Christenheit vor den Muslim*innen zu beschützen und die türkisch-muslimischen Seldschuken aus Jerusalem zu vertreiben. Die Kreuzzüge dauerten fast zwei Jahrhunderte an und hatten zur Folge, dass sich die christlichen Staaten nicht untereinander bekämpften, sondern gegen einen äußeren Feind richteten. Sie verhalfen Westeuropa zu einer Identität, die sich vor allem aus der Abgrenzung zum Islam und den Araber*innen und Türk*innen speiste. In diesem Narrativ galten der Islam und die Araber*innen als unzivilisiert, fremd, irrational und gewalttätig. (Quelle: Bönisch Georg: Kampf um die Weltherrschaft. Heiliger Krieg, 2012)
    11.-13. Jh.
  • Reconquista
    Ab dem frühen 8. Jahrhundert regierten verschiedene arabische Herrscher die Iberische Halbinsel, die das Gebiet des heutigen Spaniens und Portugals umfasst. Sie beendeten damit die Herrschaft der Westgoten und es etablierte sich, neben dem Christentum und Judentum, der Islam in der Region. Mit der Reconquista, so wird die Rückeroberung der Gebiete durch christliche Herrscher genannt, begann der Zerfall der arabischen Vorherrschaft. Die Eroberung Granadas – die letzte arabisch-muslimische Stadt des einstigen Al-Andalus auf der Iberischen Halbinsel – durch die katholisch-spanische Krone, beendete auch das friedliche Zusammenleben der Konfessionen. Muslim*innen und Jud*innen waren von Zwangskonversion, Zwangsassimilierung, Vertreibung oder Tötung betroffen. So erlaubten es die sogenannten Statuten zur Reinheit des Blutes (limpieza de sangre) bei Stellenanwärtern für wichtige Posten beim Staat, an Universitäten oder im Klerus, nach jüdischen oder muslimischen Vorfahren zu forschen. Nicht die (aktuelle) Religionszugehörigkeit zählte, sondern die „Reinheit des Blutes“. Iman Attia bezeichnet das Jahr 1492 daher als den Beginn des antimuslimischen Rassismus in Europa. (Iman Attia: Unzumutbare Koexistenz, 2019, S.127ff)
    1492
  • Deutsche Kolonialkongresse
    Auf den deutschen Kolonialkongressen trafen sich verschiedene Kolonialgesellschaften und Kolonialvereine, um über die rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen in den deutschen Kolonialgebieten zu beraten. Eines der relevantesten Themen in den Jahren 1905 und 1910 war die Angst vor der Expansion des Islam und die damit einhergehende Befürchtung, dass Christentum könne seine Vormachtstellung verlieren. Die damals zugrundeliegenden Narrative ähneln denen vom heutigen antimuslimischen Rassismus: Die Sichtbarwerdung von Muslim*innen (z. B. in den Medien) und des Islam (z. B. durch den Bau repräsentativer Moscheen) werden als Bedrohung für eine christlich-säkulare Gesellschaft gesehen. Dabei wird – damals wie heute – die christliche Religion im Vergleich zur islamischen Religion als fortschrittlich und aufgeklärt gegenübergestellt. In der Folge verstärken sich antimuslimische Stereotype. (Ozan Zakariya Keskinkılıç: Die Islamdebatte gehört zu Deutschland. Rechtspopulismus und Antimuslimischer Rassismus im (post-)kolonialen Kontext, 2019)
    1905/1910
  • Anwerbung von Gastarbeiter*innen
    Nach Ende des Zweiten Weltkrieges ging die Arbeitslosigkeit in Deutschland langsam zurück und der materielle Wohlstand wuchs. Der Bedarf an Arbeitskräften war groß. Um Arbeitskräfte zu gewinnen, wurden Anwerbeabkommen mit Italien, Spanien und Griechenland geschlossen. Es folgten weitere Abkommen mit der Türkei, Marokko, Portugal, Tunesien und Jugoslawien. Unter den Arbeiter*innen aus der Türkei und Marokko befanden sich viele Muslim*innen, die dadurch zum ersten Mal eine zahlenmäßig relevante Gruppe in Deutschland wurden. Die Arbeitsmigrant*innen wurden mit dem Begriff "Gastarbeiter*in" bezeichnet, weil ihr Aufenthalt nur vorübergehend sein und sie in ihr Herkunftsland zurückkehren sollten. Der Zuzug ausländischer Arbeiter*innen ermöglichte vielen deutschen Arbeiter*innen den Aufstieg zum Angestelltendasein, da die Migrant*innen vor allem schlecht bezahlte und unbeliebte Arbeiten übernahmen bzw. übernehmen mussten. Bis zum Anwerbestopp 1973 kamen rund 14 Millionen Arbeitsmigrant*innen nach Deutschland, von denen 11 Millionen wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehrten. (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung)
    1950er und 1960er Jahre
  • Veröffentlichung des Buches „Orientalism“
    Der Literaturtheoretiker und Professor für Literaturwissenschaft Edward Said veröffentlichte 1978 sein Aufsehen erregendes Buch „Orientalism“. Das Werk gilt als Grundstein für die Etablierung der postkolonialen Studien im akademischen Kontext und ist zentral für die heutigen Diskussionen um antimuslimischen Rassismus. Said beschreibt Orientalismus als den eurozentrischen Blick des „Westens“ auf die „arabische“ Welt. Er bezieht sich vor allem auf die sogenannte Orientforschung und stellt fest: „Westliche“ Autor*innen, Forscher*innen und Wissenschaftler*innen produzieren ein rassistisches und nationalistisches Wissensarchiv, um ein positives Selbstbild des „Westens“ zu entwerfen. Die dichotomen Stereotypen über den sogenannten Orient finden sich auch heute noch in den Narrativen des antimuslimischen Rassismus, wie beispielsweise, der Islam sei gewalttätig und unemanzipiert.
    1978
  • Veröffentlichung des Heidelberger Manifests
    Mit dem Heidelberger Manifest vom 17. Juni 1981 wollten deutsche Professoren vor der „Unterwanderung des deutschen Volkes“ und der „Überfremdung“ der deutschen Sprache, der Kultur und des „Volkstums“ warnen. Erstmals nach 1945 erhielt Rassismus öffentlich eine – wenn auch umstrittene – Legitimation durch Wissenschaftler. Die erste Fassung des Manifests mit der Unterzeichnung von 15 Professoren sah die Einwanderung durch Arbeitsmigrant*innen, vor allem aus der Türkei, als Gefahr für Deutschland und forderte die Erhaltung des deutschen Volkes und seiner geistigen Identität auf der Grundlage des christlich-abendländischen Erbes. (Quelle: Yasemin Shooman 2012: Das Zusammenspiel von Kultur, Religion, Ethnizität und Geschlecht im antimuslimischen Rassismus. In: Apuz. Aus Politik und Zeitgeschichte. Ungleichheit, Ungleichwertigkeit. Bundeszentrale für politische Bildung 2012)
    1981
  • Brandanschlag in Solingen
    In der Nacht auf den 29. Mai 1993 kamen Gürsün Ince (27), Hatice Genç (18), Gülüstan Öztürk (12), Hülya Genç (9) und Saime Genç (4) bei einem rassistischen Brandanschlag in der Stadt Solingen in Nordrhein-Westfalen ums Leben. 14 weitere Familienmitglieder erlitten zum Teil lebensgefährliche Verletzungen. Die Täter waren vier Jugendliche aus der örtlichen Neonazi-Szene. Der Anschlag in Solingen war bis dahin der Höhepunkt rassistischer Brandanschläge in der Bundesrepublik Deutschland und stellte eine bedeutende Zäsur, besonders für die zweite Generation der türkischen Arbeitsmigrant*innen, dar. In der Folge entstand eine große Verunsicherung in der deutsch-türkischen Bevölkerung und das Misstrauen gegenüber dem Schutzversprechen des Staates wuchs. (Bozay Kemal: Damit wir atmen können. Migrantische Stimmen zu Rassismus, rassistischer Gewalt und Gegenwehr, 2021)
    1993
  • Genozid an Bosniak*innen („Srebrenica“)
    Der Genozid an Bosniak*innen begann 1992 und dauerte fast vier Jahre. Oft wird dieser Genozid auf Srebrenica begrenzt, wo im Juli 1995 an nur wenigen Tagen mehr als 8.372 bosnisch-muslimische Jungen und Männer grausam ermordet wurden. Doch auch in Sarajevo, Prijedor, Višegrad, Bijeljina, Foča und weiteren Orten fanden brutale Kriegsverbrechen an Bosniak*innen statt. Die genaue Opferzahl des Genozids an Bosniak*innen ist schwer zu ermitteln, da viele Opfer nicht gefunden werden konnten. Mehr als 83 % der zivilen Opfer des gesamten Bosnienkrieges waren nach offiziellen Angaben bosniakisch. (Melina Borčak: Mekka hier, Mekka da – Wie wir über antimuslimischen Rassismus sprechen müssen, 2023)
    1992-1996
  • Terroranschläge des 11. September
    Am 9. September entführten 15 Mitglieder des islamistischen Terrornetzwerks Al-Qaida vier Flugzeuge und steuerten sie in die Türme des World-Trade-Centers in New York und auf das US-amerikanische Verteidigungsministerium Pentagon. Bei diesen beispiellosen Anschlägen verloren fast 3.000 Menschen ihr Leben. Die Anschläge werden als eine Zäsur in der Auseinandersetzung zwischen der „westlichen“ und der „arabischen“ Welt bezeichnet. Durch die Terroranschläge, den medialen Diskurs über „den“ Islam und die öffentlich diskutierte Frage, ob der Islam mit Demokratie vereinbar sei, entstand in den Köpfen vieler Menschen die wirkmächtige Verknüpfung Islam = Terrorismus. Viele Muslim*innen und solche, die als Muslim*innen gelesen werden, gerieten unter Generalverdacht. Ihnen wurde pauschal eine Nähe zum Extremismus oder Terrorismus unterstellt. Vorfälle von antimuslimischem Rassismus nahmen in der Folge zu.
    09/11
  • Morde durch die Terrorgruppe NSU
    Die rechtsextreme Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) ermordete in einem Zeitraum von sieben Jahren neun Zivilist*innen und eine Polizistin aus rassistischen Gründen. Möglicherweise gibt es auch noch mehr Opfer. Die Aufdeckung des NSU im November 2011 offenbarte eine neue Dimension des Rechtsterrorismus in Deutschland. Jahrelang berücksichtigten weder Polizei noch Verfassungsschutz ein rechtsextremes Motiv für die Taten. Viele Familien der Opfer wurden durch eine abwertende oder verharmlosende Medienberichterstattung sowie durch die Sicherheitsbehörden (Angehörige gerieten unter Verdacht) stigmatisiert und erhielten nicht die ihnen zustehende staatliche Unterstützung. In einigen Medien wurden die Morde als „Dönermorde“ bezeichnet. Seit der Selbstenttarnung des NSU-Trios stehen die Sicherheitsbehörden in der Kritik, weil das Vertrauen in Polizei und Verfassungsschutz massiv beschädigt wurde. Die Dimension der strukturellen Diskriminierung ist deutlich erkennbar geworden. Der Buchautor Hajo Funke schreibt: „Später war es Hans-Georg Maaßen, der nach dem Skandal um geschredderte Akten als neuer Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz eigentlich einen Neuanfang in dieser Behörde hätte anstoßen sollen, der die lückenlose Aufklärung zum NSU-Komplex behindert hat.“ (Staatsaffäre NSU. Eine offene Untersuchung, 2015).
    2000-2007
  • Mord an Marwa El-Sherbini
    Marwa El-Sherbini, eine 32-jährige Pharmazeutin aus Ägypten, wurde am 1. Juli 2009 im Dresdener Landgericht mit 18 Messerstichen ermordet. Täter war der Angeklagte, der sie und ihr Kind ein Jahr zuvor rassistisch beleidigt und den sie daraufhin angezeigt hatte. Während des Gerichtsverfahrens erstach der Angeklagte Marwa El-Sherbini und ihr ungeborenes Kind mit zahlreichen Messerstichen im Verhandlungssaal. Der Ehemann von El-Sherbini wollte zu Hilfe eilen und wurde dabei von einem Polizisten lebensgefährlich verletzt. Er hatte den Ehemann irrtümlich für den Angreifer gehalten und auf ihn geschossen. Der Mord an der schwangeren Marwa El-Sherbini wurde auch international zum Andenken dafür, welche Folgen antimuslimischer Rassismus haben kann. Der 1. Juli ist seitdem offiziell der Tag gegen antimuslimischen Rassismus in Deutschland und wird mit verschiedenen Aktionen für eine solidarische und demokratische Gesellschaft begangen.
    2009
  • Thilo Sarrazin veröffentlicht „Deutschland schafft sich ab“
    Im Jahr 2010 erschien Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“. Sarrazin ist ehemaliger SPD-Politiker, Volkswirt und war bis 2010 Vorstand der deutschen Bundesbank. In seinem Buch bedient er rassistische, sexistische und klassistische Klischees, zeichnet ein monolithisches, statisches und hochkonservatives Bild der deutschen Gesellschaft und spricht migrantischen Menschen die Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft ab. Das Buch löste eine breite gesellschaftliche Debatte aus, in der die Thesen Sarrazins heftig kritisiert wurden, die aber auch viel Zuspruch erhielten. Sarrazin hat die öffentliche Debatte um Einwanderung, Integration und Islam in Deutschland nachhaltig zum Negativen verändert. Rassistische Äußerungen sind sagbarer geworden. Für viele gilt er mit seinen Thesen als ein Wegbereiter der AfD.
    2010
  • Terroranschläge in Oslo und Uttøya
    Am 22. Juni 2011 verübte der Rechtsterrorist Anders Breivik zwei zusammenhängende Terroranschläge: erst auf Regierungsbeamte in Oslo und danach auf Jugendliche in einem Feriencamp der norwegischen Arbeiterpartei. Kurz vor der Tat versandte Breivik ein „Manifest“, das klar antimuslimische Narrative enthält. Er begründete den Anschlag damit, dass er Norwegen vor dem Islam und dem „Kulturmarxismus“ verteidigen wolle. 77, meist junge Menschen, kamen bei dem Anschlag ums Leben.
    2011
  • Kopftuchstreit/­Kopftuchverbote – Diskurs um antimuslimischen Rassismus in Bezug auf das Kopftuch
    Das muslimische Kopftuch (Hijab) ist zum Symbolbild für polarisierende öffentliche Debatten rund um den Islam in Deutschland geworden. Seit Jahrzenten dauert der Kampf Hijabtragender Frauen an, um einen gleichberechtigten Zugang in alle Berufe zu erhalten. Vor allem im Zusammenhang mit dem staatlichen Schuldienst steht das Kopftuch bis heute im Mittelpunkt eines von Stereotypen dominierten Diskurses. Vor 25 Jahren begann der Rechtsstreit der Lehrerin Fereshta Ludin, die damals nach ihrem Referendariat allein wegen ihres Kopftuchs nicht in den staatlichen Schuldienst übernommen wurde. Es folgte eine lange juristische Auseinandersetzung. Auch andere Hijabtragende Frauen reichten Klagen ein. Am 13. März 2015 kippte ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts das pauschale Kopftuchverbot für Lehrer*innen. Das Gericht hatte entschieden, dass ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen in öffentlichen Schulen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagog*innen mit deren Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) nicht vereinbar ist. In Berlin dauerte es weitere acht Jahre, bis die gerichtlich festgestellte Unvereinbarkeit des pauschalen Verbots des Tragens von Kopftüchern (und anderen religiösen Symbolen) von der Landesregierung anerkannt wurde.
    2013
  • Das Bündnis Pegida entsteht
    Im Oktober 2014 entstand das Organisationsbündnis PEGIDA e.V. in Halle. Pegida steht für „Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Das Bündnis hat zum Ziel, sich gegen die angeblich drohende Islamisierung Deutschlands einzusetzen. Immer mehr Menschen schlossen sich dem Initiator Lutz Bachmann auf seinen montags stattfindenden Demonstrationen in Dresden an. Binnen weniger Wochen wuchs die Anhängerschaft auf mehr als 20.000 an. Unter die Demonstranten*innen mischten sich auch Mitglieder der bisher gewalttätigen HOGESA (Hooligans gegen Salafist*innen) und Anhänger*innen rechtsextremer Parteien und Gruppierungen. Die Organisator*innen der Demos setzten auf eine neue Taktik und stützten sich auf die Meinungsfreiheit, um nicht als rassistisch aufzufallen. Der Islam und die Muslim*innen wurden in diesen Montagsaufmärschen als zentrale Feindbilder konstruiert. Die Forderungen von Pegida, muslimisches Leben, z. B. durch das Verbot von Moscheen, einzuschränken, prägen seitdem den antimuslimischen Diskurs.
    2014
  • Die AfD zieht in den Deutschen Bundestag ein
    Im September 2017 zog die Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) zum ersten Mal in den deutschen Bundestag ein. Ein zentrales Thema der AfD ist die angebliche Islamisierung Deutschlands. Antimuslimische Narrative bilden die Grundlage für restriktive sicherheitspolitische Forderungen im Kontext von Flucht und Migration. Zum Beispiel fordert die Partei in regelmäßigen Abständen einen Einreisestopp für muslimische Geflüchtete. Auch die Verlagerung der Debatten um Sexismus, Antisemitismus und Homofeindlichkeit als vermeintlich kultureller Wesenszug des Islam, gehört zur Ideologie der AfD. Durch den Einzug der Partei in den deutschen Bundestag (und in die Landtage) erhalten antimuslimische Ressentiments eine offizielle politische Legitimation und schließen an gesellschaftlich weit verbreitete antimuslimische Einstellungen an.
    2017
  • Christchurch
    Am 15. März 2019 ermordete Brenton Tarrant in zwei Moscheen im australischen Christchurch 51 Menschen. Tarrants Motive waren antimuslimisch geprägt. Er sah sich nicht als Täter, sondern als Retter einer weißen Elite. Sein Antrieb und seine Argumente für die Tat bezogen sich auf die unter Rechtsextremen weit verbreitete Theorie des „Großen Austauschs“. Nach dieser Theorie sollen weiße Europäer*innen angeblich durch Muslim*innen ersetzt werden, was zu einer "Islamisierung" Europas führen würde. Tarrant nannte den norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik als sein Vorbild.
    2019
  • Terroranschläge in Hanau
    Am 21. Februar 2020 ermordete Tobias R. an mehreren Orten in Hanau sieben Menschen: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov. Sechs weitere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Der Täter handelte aus rassistischen Motiven. Er hatte vermutlich gezielt Orte, wie die Shisha-Bars, für sein Attentat gewählt, die häufig mit migrantisierten und muslimischen jungen Männern assoziiert werden. Der Polizeieinsatz und die nachfolgende polizeiliche Aufklärungsarbeit wiesen viele Ungereimtheiten auf. Angehörige der Opfer sowie zivilgesellschaftliche Organisationen begannen daher selbst zu recherchieren. Dabei kam heraus, dass es sowohl bei der Aufklärung des Terroranschlags als auch während des Attentats mehrere Pannen seitens der Polizei gegeben hatte, die möglicherweise auch Leben kosteten. Der Terroranschlag von Hanau hat viele Menschen, die Rassismus in Deutschland erfahren, zutiefst verunsichert und ihr Vertrauen in Gesellschaft und Behörden – nach der Selbstenttarnung der NSU – erneut erschüttert.
    2020
  • Neuköllner Silvesternacht
    In der Silvesternacht 2022/2023 kam es in Berlin und anderen deutschen Städten zu Krawallen und gewalttätigen Ausschreitungen durch vorwiegend junge Männer. Polizist*innen und Rettungskräfte wurden massiv angegriffen. Die Ausschreitungen im migrantisch und durch Armut geprägten Berliner Stadtteil Neukölln entfachten eine bundesweite Debatte, in der es hauptsächlich um die vermutete Migrationsgeschichte der Täter*innen ging. Antimuslimische und rassistische Narrative prägten diese Diskussionen. Der Grund für die gewaltsamen Ausschreitungen – so die häufige These – liege in der fehlenden Integration und einer vermuteten kulturell bedingten Vorstellung von Männlichkeit. Als sich herausstellte, dass die Mehrheit der Tatverdächtigen die deutsche Staatsbürgerschaft haben, wurden rassistisch biologistische Argumentationen herangezogen.
    2022/2023

Stimmen

Wie macht sich antimuslimischer Rassismus im Alltag, in der Schule, auf der Arbeit oder in Behörden bemerkbar? Was sagt die Forschung? Wie hoch ist das Ausmaß der Diskriminierung und welche Strategien gibt es zur Bekämpfung des antimuslimischen Rassismus? Hier können Sie vielfältige Stimmen zu antimuslimischem Rassismus hören – aus persönlicher und wissenschaftlicher Perspektive.

Antimuslimischer Rassismus im Alltag

Wissenschaft und Forschung

under cover

Achtung: In diesem Video wird das Z-Wort genannt.

Ich bin Marwa!

Achtung: Hier geht es um rassistische tödliche Gewalt.

Muslimisch gelesen

Quelle Instagram: @rebeccanmyr

Antimuslimischer Rassismus in der Schule

Begriffsdefinitionen

Antimuslimischer Rassismus, Muslimfeindlichkeit, Islamfeindlichkeit und Islamophobie – Welche Begriffe sind passend, um die Diskriminierung von Muslim*innen und Menschen, die als Muslim*innen gelesen werden, zu erklären? Und was unterscheidet die Begriffe voneinander?

Antimuslimischer Rassismus

„Als eine der Ersten führte die Bildungs- und Rassismusforscherin Iman Atta den Begriff des antimuslimischen Rassismus in Deutschland ein (Attia, 2013). Analog zu den im deutschsprachigen Raum verbreiteten Begriffen Islamophobie sowie Islam- und Muslimfeindlichkeit beschreibt antimuslimischer Rassismus die Diskriminierung, Ausgrenzung und Marginalisierung muslimischer und muslimisch gelesener Menschen. Im Unterschied zu ersteren Begriffen macht er – im Anschluss an postkoloniale Theorien – jedoch auch historische Kontinuitäten und Prozesse von Exotisierung und Essentialisierung sichtbar (ebd.). Mit seinem Fokus auf gesellschaftliche Machtverhältnisse impliziert antimuslimischer Rassismus ein weitaus umfassenderes Konzept als die Begriffe Islamophobie, Islam- und Muslimfeindlichkeit, da er die komplexen Zusammenhänge zwischen struktureller, institutioneller, diskursiver und subjektiver Ebene in den Blick nimmt.“ Fatima El-Sayed 2023

Quelle: https://www.bag-relex.de/wp-content/uploads/2023/11/BAG-RelEx_Ligante_6_Innenteil_barrierearm.pdf

Muslimfeindlichkeit

In der Vorurteilsforschung wird Muslimfeindlichkeit als individuelle Einstellung gegenüber Muslim*innen und als muslimisch gelesenen Menschen verstanden. Eine aktuelle Definition ist im Rahmen der Arbeit des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit entstanden. Diese Definition umfasst den Begriff viel weiter und stellt ihn gleichbedeutend neben antimuslimischen Rassismus: „Muslimfeindlichkeit (auch: Antimuslimischer Rassismus) bezeichnet die Zuschreibung pauschaler, weitestgehend unveränderbarer, rückständiger und bedrohlicher Eigenschaften gegenüber Muslim*innen und als muslimisch wahrgenommenen Menschen. Dadurch wird bewusst oder unbewusst eine ‚Fremdheit‘ oder sogar Feindlichkeit konstruiert. Dies führt zu vielschichtigen gesellschaftlichen Ausgrenzungs- und Diskriminierungsprozessen, die sich diskursiv, individuell, institutionell oder strukturell vollziehen und bis hin zu Gewaltanwendung reichen können.“

(Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit 2023, S. 24)

Islamophobie und Islamfeindlichkeit

Der Begriff Islamophobie wurde in Deutschland durch die Verwendung des Begriffs in den Forschungen zu Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit des Bielefelder Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung weit verbreitet. Die Verwendung des Begriffs „Phobie“ (altgriech.: Angst) suggeriert, dass es sich bei der Diskriminierung um eine intensive oder sogar irrationale Angst vor dem Islam und den Muslim*innen handelt. Mittlerweile wird der Begriff von vielen im Themenfeld abgelehnt. „Denn er legt irreführend nahe, dass es sich bei den Einstellungen nur um übertriebene Angstgefühle handele und nicht um folgenreiche Ressentiments.“ (Pfahl-Traughber, Armin 2019). Ab 2011 wird in den Studien zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit dann auch der Begriff Islamfeindlichkeit eingeführt. Er beschreibt feindliche Einstellungen und diskriminierendes Verhalten von Menschen gegenüber Muslim*innen, dem Islam und allem, was damit assoziiert wird. Sowohl der Begriff Islamfeindlichkeit als auch der Begriff Islamophobie konzentrieren sich vor allem auf die Einstellungen und das Verhalten von Menschen und Gruppen. Strukturelle, institutionelle sowie historisch-gesellschaftliche Dimensionen der Diskriminierungen von Muslim*innen bleiben dabei unbeachtet. Auch die Tatsache, dass Menschen, die gar keine Muslim*innen sind, von Ressentiments betroffen sein können, z. B. aufgrund eines bestimmten phänotypischen Aussehens, wird ausgeblendet.

Materialsammlung

Es gibt viele Materialien, die es ermöglichen, sich mit dem Thema antimuslimischer Rassismus auseinanderzusetzen, zu lernen, zu reflektieren und Handlungsoptionen zu entwickeln. Hier finden Sie eine Auswahl von Texten, Videos und Methoden, die unterschiedliche Zugänge zum Thema bieten. Lassen Sie sich inspirieren.

Pädagogische Methoden

Berichte, Texte, Broschüren

Meldung, Beratung und Dokumentation von antimuslimischem Rassismus

Hier finden Sie:

  • Informationen zu Beratungs- und Meldemöglichkeiten bei antimuslimischen Vorfällen.
  • Einen kurzen Text zur Rechtslage.
  • Den Link zum "Zivilgesellschaftlichen Lagebild antimuslimischer Rassismus“ der Claim -Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Der Bericht enthält die Auswertung von 898 gemeldeten Fällen und bietet einen Einblick in die alltägliche Dimension von antimuslimischem Rassismus.

Beratungs- und Meldestellen

Antimuslimischer Rassismus benachteiligt und beeinträchtigt Muslim*innen und muslimisch wahrgenommene Menschen in ihrem täglichen Leben, erzeugt Verletzungen und traumatisiert. Diskriminierung ist in Deutschland verboten und der Schutz vor Diskriminierung in verschiedenen Gesetzen verankert. Trotzdem findet Diskriminierung statt. Für Betroffene ist es zusätzlich belastend, sich gerichtlich zu wehren, denn auch dabei spielen Machtverhältnisse eine Rolle (z. B. in der Schule oder im Arbeitsverhältnis). Es gibt bundesweit Anlauf- und Beratungsstellen, die die Rechtslagen kennen und Unterstützung anbieten. Die Angebote sind kostenlos und die Ratsuchenden entscheiden selbst, ob und welche Schritte sie gehen möchten, um sich zu wehren. Hier finden Sie eine Liste von Beratungsstellen in Berlin:



Für andere Bundesländer verweisen wir auf die Suchfunktion der Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Fälle von antimuslimischem Rassismus können auch ohne Beratung gemeldet werden: „Antimuslimischer Rassismus ist kein Einzelfall. Ihre Meldung zählt!“: Das ist der Slogan des Meldeportals für antimuslimische und islamfeindliche Vorfälle (https://www.i-report.eu/fall-melden/. Die Meldungen werden dort gesammelt und ausgewertet, um so die Häufigkeit und Erscheinungsformen von antimuslimischem Rassismus belegbar zu machen, mit denen Betroffene täglich konfrontiert sind. Das ist wichtig für das politische Engagement gegen antimuslimischen Rassismus, zum Beispiel für die Beantragung von Projektgeldern, um dadurch wichtige Arbeit für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu leisten.

In Berlin können Fälle von Diskriminierung und antimuslimischem Rassismus außer bei I-Report und den genannten Beratungsstellen auch bei allen bezirklichen Registerstellen gemeldet werden

Rechtslage

Das Recht auf Schutz vor Diskriminierung ist in internationalen und europäischen Vorschriften sowie in Bundes- und Landesgesetzen verankert. Diese Vorschriften reichen von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der Grundrechtecharta der EU, bis hin zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland oder dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Berlin hat seit 2020 sogar als erstes und bisher einziges Bundesland ein Landesantidiskriminierungsrecht.

Und wie kann es sein, dass es trotzdem noch so viele Fälle von antimuslimischem Rassismus gibt, und es vor allem für Betroffene so schwer ist, Recht zu bekommen?

Ein Grund ist sicherlich, dass der Rechtsschutz noch nicht weit genug reicht. Ferda Ataman, Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung , sagt dazu: „Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet in Deutschland Diskriminierung. Doch es ist in seiner jetzigen Form zu schwach, um umfänglichen und effektiven Rechtsschutz vor Diskriminierung zu gewährleisten. Das AGG muss gestärkt werden und auch dann greifen, wenn Diskriminierung von staatlichen Stellen ausgeht, wie an Schulen, in Behörden oder durch Sicherheitskräfte. In vielen EU-Mitgliedsstaaten ist das bereits entsprechend geregelt.“ Aktuell macht sich das Bündnis AGG Reform – Jetzt! für einen zügigen Reformprozess im Antidiskriminierungsrecht stark.

In Berlin wurden durch die Einführung des LADG (Landesantidiskriminierungsgesetz) bereits Rechtslücken geschlossen. So wurde der Rechtsschutz für Betroffene von Diskriminierung, wie z.B. antimuslimischer Rassismus, deutlich verbessert. Trotzdem gibt es Kritik an der Wirksamkeit des Gesetzes. Ein Beispiel hierfür ist die Verbandsklage. Mithilfe der Verbandsklage ist es rechtlich möglich, dass Betroffene ihre Klage an anerkannte Antidiskriminierungsverbände übertragen können. Bisher wurde aber noch kein Rechtshilfefond eingerichtet, wie von Verbänden gefordert, die in der Regel nicht in der Lage sind, die Kosten zu tragen. Für ein wirksames Antidiskriminierungsgesetz ist deutlich mehr politischer und gesellschaftlicher Wille nötig, auch damit schnellstmöglich mehr niedrigschwellige und vor allem gut ausgestattete Melde- und Beratungsstrukturen eingerichtet werden können. „Denn die Bekämpfung von Rassismus und die Auseinandersetzung mit diskriminierenden Strukturen und Einstellungen bleibt vor allem eine staatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Nicht zuletzt ist jeder rassistische Übergriff, jede Erniedrigung, jede Beleidigung oder Ausgrenzung ein Angriff auf unsere Demokratie und gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ (Rima Hanano, Zivilgesellschaftliches Lagebild antimuslimischer Rassismus 2022)

Zivilgesellschaftliches Lagebild antimuslimischer Rassismus

cover – zivilgesellschaftliches_lagebild_antimuslimischer_rassismus_2022_claim

Polarisierende Begriffe

Sprache ist machtvoll. Hier finden Sie Begriffe, die im Kontext der Diskriminierung von Muslim*innen und muslimisch gelesenen Menschen eine Rolle spielen. Wie ist es möglich, dass Menschen durch die Begriffe "Leitkultur" und "liberal" sprachlich ohne weiteres in zwei Gruppen geteilt werden können? Wann ist die Verwendung des Begriffs "säkular“ problematisch? Und wer bestimmt, was Feminismus ist?

Leitkultur

Der Begriff „deutsche Leitkultur“ bezieht sich auf die Idee einer dominanten oder führenden Kultur in Deutschland. Es gibt keine einheitliche Definition oder allgemein akzeptierte Beschreibung dessen, was genau zur deutschen Leitkultur gehört. Das ist auch nachrangig, denn meistens geht es bei der Verwendung des Begriffs um die Abgrenzung zur Kultur der vermeintlich Anderen und um die Darstellung angeblich unvereinbarer Gegensätze. Es geht um die Deutungshoheit, wer Teil der deutschen Gesellschaft ist und sein darf und somit um Durchsetzung und Erhalt gesellschaftlicher Machtverhältnisse“. Leitkultur ist ein Kampfbegriff im politischen Diskurs, der sich oft gegen Muslim*innen und den Islam richtet.

Säkular

Deutschland ist ein säkularer Staat, wenngleich in Deutschland keine absolute Trennung von Staat und Kirche herrscht. Kirche und Staat kooperieren in vielen Bereichen. Beispielsweise erhebt der Staat die Kirchensteuer für die Mitglieder der beiden großen christlichen Kirchen über die Finanzämter. Zusätzlich gibt es die so genannten Staatsleistungen, bei denen der Staat jährlich rund 500 Millionen Euro an die katholische und evangelische Kirche zahlt. Diese Staatsleistungen gehen auf einen Vorgang im 19. Jahrhundert zurück. Damals wurden im Rahmen von staatlichen Enteignungen kirchliche Vermögenswerte beschlagnahmt. Als Ausgleich wurde die Zahlung dieser Staatsleistungen vereinbart. Gleichzeitig darf sich der Staat mit keiner Religion oder keinem weltanschaulichen Bekenntnis identifizieren. Das Grundgesetz garantiert allen in Deutschland lebenden Menschen Glaubens- und Religionsfreiheit (Art. 4 Grundgesetz). Die öffentliche Debatte um das Verhältnis von Islam und Säkularität ist in Teilen rassistisch geprägt. Der Islam erscheint als zu starr in seinen Regeln und unvereinbar mit Säkularität. In der Folge wird der Islam häufig als eine Bedrohung für den säkularen demokratischen Staat wahrgenommen. Im pädagogischen Alltag kommt es vor, dass Lehrkräfte verunsichert, skeptisch, bis hin zu ablehnend reagieren, wenn muslimische Schüler*innen während der Schulzeit fasten oder beten wollen. Schule habe neutral zu sein, wird argumentiert. Doch die Ausübung von religiösen Praktiken ist (auch in der Schule) durch die Religionsfreiheit geschützt.

Liberal

Liberal ist ein Begriff, der im Sprechen über den Islam in Deutschland häufig auftaucht. Er wird genutzt, um auszudrücken, dass Anhänger*innen eines liberalen Islam bei der Auslegung religiöser Gebote, wie z. B. Essens- oder Kleidungsvorschriften, nicht den klassischen Interpretationen folgen. Ohne es auszusprechen, wird mit der Bezeichnung „liberaler Islam“ oder „liberale Muslim*innen“ eine homogenisierte Gruppe von Muslim*innen positiv hervorgehoben. Dichotom dazu wird – ebenfalls ohne es auszusprechen – eine homogenisierte Gruppe von „konservativen Muslim*innen“ gegenübergestellt. Die tatsächliche Vielfalt muslimischen Glaubens und Lebens wird dadurch unsichtbar gemacht.

Feminismus

Feminismus und Islam erscheint vielen als ein Widerspruch. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass der Islam zutiefst patriarchal und sexistisch geprägt und damit unvereinbar mit Feminismus sei. Muslimische Feminist*innen werden dabei als Ausnahme betrachtet. Das Ziel muslimischer Feminist*innen ist eine gendersensible Lesart des Korans und die Gleichstellung der Geschlechter. Vielen geht es außerdem darum, den teilweise herrschenden Überlegenheitsanspruch des weißen westlichen Feminismus zu hinterfragen, und ihn um feministische Perspektiven von Muslim*innen zu erweitern (vgl. Sirri 2017, S. 19, f.). Das Konzept des Islamischen Feminismus ist vielschichtig und komplex. Interessierten empfehlen wir zum Weiterlesen Texte von Kübra Gümüşay, Lana Sirri, Nimet Şeker, Amina Wadud, Zahra Ali oder Leila Ahmed. Dabei handelt es sich nicht um eine abschließende Aufzählung.

Religiöser Alltag

Wie gestalten religiöse Muslim*innen ihren Alltag? So unterschiedlich wie Menschen sind, so unterschiedlich gestalten sie auch ihren religiösen Alltag. Muslimische Praxen des religiösen Lebens werden in öffentlichen Debatten häufig als konservativ und intolerant diskutiert und dargestellt. Dementsprechend emotional aufgeladen sind die Diskussionen. Dabei geraten positive und spirituelle Aspekte von Religion und Religiosität wie Gemeinschaftsgefühl, Halt und Geborgenheit in den Hintergrund. Wir haben einige der Praktiken religiösen Lebens herausgegriffen und laden Sie zu einem Perspektivwechsel ein.

Kopftuch

Beten als Ausdrucksform

Gemeindeleben

Das Gemeindeleben vieler Muslim*innen findet in Moscheen statt. Wussten Sie, dass fast alle Moscheen in Deutschland eingetragene Vereine sind? In Deutschland gibt es schätzungsweise 2.800 Moscheen (Statista 2020), die wenigsten von ihnen befinden sich in repräsentativen Bauten, sondern in ehemaligen Wohnhäusern oder Gewerbebauten. Die älteste noch bestehende Moschee in Deutschland befindet sich in Berlin-Wilmersdorf und wurde in den 1920er Jahren für die aus Lahore kommende Ahmadiyya-Gemeinschaft gebaut. Die Bandbreite des muslimischen Gemeindelebens ist sehr vielfältig und unterscheidet sich je nach Moscheegemeinde, da die meisten Angebote ehrenamtlich organisiert sind. Neben den täglichen Gebeten und dem Freitagsgebet werden in Moscheen die wichtigsten muslimischen Feiertage wie das Zuckerfest zum Ende des Fastenmonats Ramadan (arab. ʿĪd al-Fiṭr), das Opferfest (arab. ʿĪdu l-Aḍḥā) oder der Geburtstag des Propheten Mohammad (Maulid un Nabi) gemeinschaftlich gefeiert. Zudem werden Eheschließungen, Totengebete und Bestattungsrituale durchgeführt. Viele Gemeinden bieten Kurse zur religiösen Bildung von Kindern und Erwachsenen an. Darüber hinaus gibt es Freizeitangebote für Jugendliche oder Senior*innen, Alphabetisierungskurse, Ehe- und Familienberatungen, Beratungsangebote für Geflüchtete und vieles mehr. Moscheegemeinden übernehmen damit wichtige seelsorgerische und sozialdienstliche Aufgaben, die die Mitglieder stärken aber auch gesellschaftlich integrativ wirken. Leider gehören auch Schmierereien mit Hakenkreuzen, Drohbriefe oder sogar Brandanschläge zum Alltag der Moscheegemeinden. Seit 1997 ist der 3. Oktober „Tag der offenen Moschee“. Viele Moscheen bieten Führungen, Diskussionsforen oder Ausstellungen für interessierte Besucher*innen an. Vielleicht besuchen Sie ja auch bald mal die Moschee nebenan?

Halal

Halal (arabisch) oder helal (türkisch) ist ein religiöser Begriff und bedeutet nach islamischem Recht etwas, was für Muslim*innen erlaubt ist. Dies kann verschiedene Aspekte des Lebens betreffen, z. B. die Ernährung, das Verhalten, aber auch Handel und Finanzen oder die Partnerwahl. Das Gegenteil von Halal ist Haram, d. h. Dinge, die nach dem gleichen Rechtsprinzip für Muslim*innen verboten sind. In der Jugendsprache, vor allem in migrantisch geprägten Großstädten, wird Haram häufig verwendet, um eher scherzhaft darauf zu verweisen, dass etwas nicht erlaubt oder korrekt ist. Auf der Welt leben ca. zwei Milliarden Muslim*innen. Halal-Produkte sind dementsprechend ein wichtiger globaler Wirtschaftsfaktor. Auch in Europa wächst der Markt für Halal-Produkte weiter. Wenn Sie Näheres dazu erfahren möchten, schauen Sie in die Dokumentation „Halal – Das große Geschäft mit muslimischen Kunden“ rein.


Kunst als Widerstand

Gesellschaftliche Machtverhältnisse sind auch in der Kunst wirksam und führen zum Beispiel zur Unsichtbarmachung bestimmter Künstler*innen. Gleichzeitig kann Kunst Themen neu verhandeln und selbstermächtigend wirken. Wie können aber Künstler*innen Räume einnehmen, die ihnen bisher nicht zustanden? Hier erhalten Sie einen Einblick in Perspektiven von Künstler*innen aus Deutschland und Österreich. Sie können Musik genießen, erfahren, wer der erste deutsche Autor und Lyriker war, der auf Türkisch geschrieben hat, und was Privilegien mit Klingelschildern zu tun haben.

Muslim contemporary

Salam Oida!

Tarâpzâde

Out Of Love

Ramadanstimmen

Ein Problem, eine Lösung

Frau Kutzers Nachbarn

Calligraffiti

Kalligrafie

Perspektiven auf
antimuslimischen Rassismus

Herzlich willkommen! Wir freuen uns, dass Sie hier sind und laden Sie ein, verschiedene Perspektiven auf antimuslimischen Rassismus zu erkunden. An zehn von der Illustratorin Saliha Soylu gestalteten Stationen gibt es die Möglichkeit, Texte zu lesen, Videos zu schauen und Audios zu hören.

Durch Klicken und Ziehen navigieren Sie sich durch den Raum. Durch Anwählen der einzelnen Exponate durch den Mausklick werden die jeweilig anklickbaren Texte, Audios und Videos sichtbar.

In 2024 entwickeln wir pädagogisches Begleitmaterial zu der Ausstellung.

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